December 17, 2020

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Süddeutsche Zeitung

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Der 18-jährige Merlin Röhl hat sich beim FC Ingolstadt in der ersten Mannschaft etabliert. Seinen Aufstieg verdankt der Junioren-Kapitän nicht nur seiner Wendigkeit.

Es war ein durchaus opulenter Gruß, den sie sich da am Mittwochabend beim letzten Heimspiel des Jahres 2020 einfallen ließen beim FC Ingolstadt. Alle paar Minuten verschwand die eigentliche Bandenwerbung eine Zeit lang. Stattdessen tauchten Vereinsnamen auf den LED-Flächen auf, die nach allem, was man weiß, bislang noch nicht in der dritten deutschen Fußball-Liga mitgespielt haben: der SSV Pfeffenhausen aus Niederbayern etwa. Oder auch der SSV Einheit Perleberg aus Brandenburg, der TSV 1860 Stralsund aus Mecklenburg-Vorpommern, der NAC 1907 Wien oder der TSV Friedland 1814 aus Niedersachsen.

Letzterer bezeichnet sich übrigens selbst "als ältesten noch bestehenden Turn- und Sportverein in Deutschland" und wurde zu Turnvater Jahns Zeiten genau 190 Jahre vor den Ingolstädtern gegründet. Die erste Annahme, dass die Ingolstädter hier alle Vereine aufführten, die älter als sie sind, trog trotzdem. Sie verkündeten auf der Bande in der Spielfeldmitte dagegen: "Vielen Dank an unsere über 120 Partnervereine." Die quer über die Landkarte verteilt sind und auch nach den Abstiegen des einstigen Bundesligisten mit dem FCI zusammenarbeiten.

Mit seinem ersten Profitreffer hat Merlin Röhl sich auch für seinen eher untypischen Weg zum Fußballprofi belohnt

Eigentlich fehlte da aber sogar noch ein Dankes-Gruß an einen weiteren Partner der Ingolstädter, wie sich spätestens in der 37. Minute herausstellen sollte in der Drittliga-Partie gegen den FC Hansa Rostock. In dieser Minute schoss Merlin Röhl, 18, das goldene Tor beim 1:0 (1:0) der Oberbayern, die sich als derzeit stärkstes Heimteam der dritten Liga wieder auf Rang zwei schoben. "Das ist eine sehr hart umkämpfte Liga", sagte Trainer Tomas Oral. "Man braucht eine gewisse Konstanz. Deshalb nehmen wir den Platz natürlich gerne mit."

Ebenso gerne nahm der Coach Röhls Profi-Premierentor in seinem erst vierten Drittliga-Einsatz überhaupt mit. Der eigentliche Junioren-Kapitän hat sich in die Startelf der Erwachsenen gespielt - und ist dabei auch an etablierten Profis wie Maximilian Beister oder Thorsten Röcher vorbeigezogen: "Jeder konnte sehen, dass wir da einen sehr talentierten Jungen in unseren Reihen haben, der richtigen Männerfußball spielt", fand Oral. "Es freut mich, dass er sich mit dem Tor belohnt hat."

Belohnt wurde damit auch sein eher untypischer Weg zum Fußballprofi. Röhl verdankt diesen dem erwähnten FCI-Partner, der allerdings nicht auf der Werbebande zu sehen war, weil er kein eingetragener Fußballverein und ohnehin nicht auf einer Landkarte zu finden ist. Gemeint ist die datenbasierte Fußball-App "Tonsser" aus Dänemark. Die sorge dafür, dass die "unentdeckten Talente eine zweite Chance bekommen", sagt der Mitbegründer Simon Hjaere. Fußballer können dafür ihre Leistungsdaten mit ihrem Smartphone in die App hochladen und an Scouts oder Vereine schicken, reines Videosichten wie zu Felix Magaths Trainerzeiten ist überholt. Nicht nur das Leben, auch das Scouting profitiert von der besseren digitalen Vernetzung.

Merlin Röhl ist trotz seiner Größe von 1,91 Metern wendig, flink - und verfügt über eine gute Technik

Vor zweieinhalb Jahren, als die Kooperation startete, luden die Ingolstädter 75 Jugendfußballer über die App zu einem Talentsichtungstag ein - unter anderem den Potsdamer Röhl, der damals noch in der Jugend beim SV Babelsberg 03 kickte. Dass er es dann so schnell zum Profi geschafft hat, hat die Ingolstädter freilich selbst überrascht.

Röhl überzeugte schon am Sichtungstag mit den Qualitäten, die ihn immer noch auszeichnen und ihm auch zwei Spiele in der U19-Auswahl Deutschlands einbrachten: Er ist trotz seiner Größe von 1,91 Metern wendig und flink - und er verfügt über eine geschmeidige Technik. Ein wenig erinnert er aufgrund dieser Eigenschaften an den gleich großen Maximilian Thalhammer, der auch aus der FCI-Jugend stammt, über die Jahre zur Führungskraft aufstieg und nach dem verpassten Aufstieg im Sommer zum SC Paderborn in die zweite Liga weiterzog.

Zudem ist Röhl beidfüßig und auf allen Mittelfeldpositionen einsetzbar. Am Mittwoch spielte er zum Beispiel erstmals als Linksaußen. Im Strafraum lief er sich in der 37. Minute frei und erwartete am zweiten Pfosten die Flanke des Angreifers Dennis Eckert Ayensa, die er direkt ins kurze Eck schoss. Ein Bild von Röhls Jubel postete der Verein im sozialen Netzwerk Instagram. "Gute Rückennummer. Guter Junge", schrieb Marvin Matip, langjähriger Vorgänger mit der Nummer 34, darunter. Der 35-jährige Ex-Profi weilt gerade auf Weltreise in Mexiko. Die alten Ingolstädter sind inzwischen also auch ganz gut vernetzt.

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